„Schweigen hilft nicht“: Weiden diskutiert über Gewalt, die Frauen täglich trifft | Weiden24

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Susanne Pamler, Enikö Nagy, Christina Clemm, Iris Müller und Angela Frank (von links) bei der Podiumsdiskussion ,,Gegen Frauenhass'' in der Regionalbibliothek Weiden. (Bild: Stephanie Margeth)
Susanne Pamler, Enikö Nagy, Christina Clemm, Iris Müller und Angela Frank (von links) bei der Podiumsdiskussion ,,Gegen Frauenhass'' in der Regionalbibliothek Weiden. (Bild: Stephanie Margeth)
Susanne Pamler, Enikö Nagy, Christina Clemm, Iris Müller und Angela Frank (von links) bei der Podiumsdiskussion ,,Gegen Frauenhass'' in der Regionalbibliothek Weiden. (Bild: Stephanie Margeth)
cancel
info
Susanne Pamler, Enikö Nagy, Christina Clemm, Iris Müller und Angela Frank (von links) bei der Podiumsdiskussion ,,Gegen Frauenhass'' in der Regionalbibliothek Weiden. (Bild: Stephanie Margeth)

„Schweigen hilft nicht“: Weiden diskutiert über Gewalt, die Frauen täglich trifft

In der Regionalbibliothek Weiden sprechen Christina Clemm und Fachfrauen aus Weiden über Gewalt gegen Frauen. Sie machen deutlich, welche Strukturen Betroffene gefährden – und welche Veränderungen nötig sind, um sie besser zu schützen.

„Ich sage euch, was Freiheit für mich bedeutet: Ohne Angst zu leben.“ Mit diesem Satz von Nina Simone eröffnet die Strafrechtlerin und Autorin Christina Clemm ihren Abend in der Regionalbibliothek Weiden. Die Realität sieht jedoch anders aus: In Deutschland erlebt mehr als jede dritte Frau körperliche oder sexuelle Gewalt. Alle drei Minuten wird eine Frau Opfer von Partnerschaftsgewalt, fast jeden Tag tötet ein Partner oder Ex-Partner eine Frau.

Trotz dieser Dimension wendet sich nur jede fünfte Betroffene an die Polizei. Diese Zahlen bilden den Rahmen der Veranstaltung, zu der die OTH Amberg–Weiden und der Inner-Wheel-Club im Rahmen der Orange Days eingeladen haben, die weltweit auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen.

Wie Frauenhass entsteht

Clemm macht gleich zu Beginn deutlich, worum es ihr geht: Gewalt gegen Frauen entsteht nicht im luftleeren Raum. Sie spricht von einem Klima, das Frauen abwertet, von Denkmustern, die früh erlernt und gesellschaftlich abgesichert werden, und von Strukturen, die Täter schützen statt Betroffene. Auch werde Gewalt nicht durch Verhalten, Kleidung oder Lebensstil ausgelöst.

Wie Clemm betont, sind Frauen „unabhängig davon gefährdet, wie sie leben oder was sie tragen – ob reich oder arm, nüchtern oder alkoholisiert, Kopftuch, kurzes Kleid oder Hose, in friedlichen Gesellschaften ebenso wie in kriegerischen Konflikten“.

Die Tötungen von Frauen, über die sie berichtet, sind für sie deshalb keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines tief verankerten strukturellen Problems. Der dahinterliegende Hass sei keine spontane Gefühlsregung, sondern eine eingeübte Haltung, die sich durch Erziehung, Erwartungen und Rollenbilder verfestigt.

Ein Hilfesystem am Limit

Besonders eindringlich äußert sich Clemm, wenn sie das deutsche Hilfesystem beschreibt. Viele Menschen glauben an einen funktionierenden Rechtsstaat, der schützt und stützt. Doch die Realität sehe anders aus: zu wenige Beratungsstellen, zu wenige Frauenhausplätze, zu viele Frauen, die täglich abgewiesen werden müssen.

Auch die Strafjustiz könne nicht leisten, was sie verspricht. Strafen hätten keinen abschreckenden Effekt, die strafrechtliche Behandlung von Tötungsdelikten bedürfe längst einer Reform. Clemm sagt: ,,Ich bin voller Respekt für meine Mandantinnen, die ich auf ihrem Weg ein Stück weit begleiten darf. Ich empfinde Hochachtung vor der Tatsache, dass sie überlebt haben. Dass sie trotz allem, was sie erlebt haben, weiterhin den Mut haben, neue Lösungen zu suchen. Viele, finden in ein glückliches, lustvolles Leben zurück.‘‘

Fachfrauen berichten

Im Anschluss an die Lesung richtet sich der Blick auf die Lage in der Oberpfalz. Moderiert von Iris Müller, der ersten Vorsitzenden des Dornrose e. V., sprechen die traumazentrierte Fachberaterin Angela Frank und die Leiterin des Weidener Frauenhauses, Enikö Nagy, über ihre Erfahrungen aus der täglichen Arbeit mit Betroffenen.

Beide zeichnen ein Bild, das deutlich macht, wie groß die Belastung für Frauen in akuten Gewaltsituationen ist – und wie schnell Unterstützungssysteme an ihre Grenzen stoßen. „Frauen brauchen sichere Orte und verlässliche Strukturen, um überhaupt aus Gewaltbeziehungen aussteigen zu können“, sagt Nagy. Frank schildert, wie früh Gewalt beginnt und wie sehr sie sich durch den Alltag der Betroffenen zieht.

Was sich ändern muss

An diesem Abend geht um die Frage, welche Veränderungen nötig sind, um Frauen besser zu schützen. Die Fachfrauen sind sich einig: Der Kampf gegen Gewalt braucht mehr Ressourcen, mehr Schutzräume, mehr Beratungsstellen und politischen Willen. Ebenso notwendig sei ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass Gewalt nicht erst mit einem Schlag beginnt, sondern in Strukturen, Sprache und Rollenbildern wurzelt.

Die Veranstaltung endet ohne beruhigende Antworten, aber mit Klarheit: Gewalt gegen Frauen ist kein Randthema, sondern ein strukturelles Problem, das alle betrifft. Für Wegsehen ist kein Platz. Oder, wie Christina Clemm es formuliert: „Schweigen hilft nicht.“

 
north